30. August 2022, Autohaus Tietjen, Stade-Wiepenkathen. Die Tischler-Innung Stade feiert ihren Nachwuchs! Dabei geben sich der Obermeister der Tischler-Innung-Stade Jörg Klintworth und der Obermeister der Kraftfahrzeug-Innung des Kreises Stade Ulrich Tietjen dieses Jahr die Klinke in die Hand. „Wir freuen uns in diesem Jahr, die mit viel Fleiß und Herzblut gefertigten Gesellenstücke, in den hellen Räumlichkeiten des Autohauses Tiejen präsentieren zu dürfen“, so Klintworth. Landrat Kai Seefried ließ sich punktgenau blicken und fühlte sich gleich zuhause: „Als Tischlermeister weiß ich, wie sie sich jetzt fühlen. Diesen Stolz trage ich bis heute in meiner Brust.“ 15 neue Tischler:innen ließen sich feierlich ihren Gesellenbrief übergeben und starten nun auf ihre weitere Reise als Handwerksgesell:innen. Eins gab der Obermeister den jungen Zuhörern direkt am Anfang mit auf den Weg: „Hinterlassen Sie eine bessere Welt für meine Enkel, als die, die wir Ihnen hinterlassen haben.“
„Treten Sie in keine Fußstapfen – schaffen Sie sich Ihren eigenen Trampelpfad“
Jörg Klintworth schwang große Worte, die es wohl in Zeiten wie diese auch braucht: „Sie sind die Game-Changer einer ganzen Generation. Ob Sie das nun wollen oder nicht“, nahm er die Jungtischler:innen direkt in die Pflicht. Er predigte, Kopf einziehen sei jetzt nicht drin und die Verantwortung läge bei allen, aber besonders bei dieser Generation: „Sie werden sich Gedanken machen müssen über Energiewende, Klimaziele und demographischen Wandel. Alle müssen jetzt den Kopf anstellen, um das Ruder rumzureißen. Wir müssen noch enger zusammenrücken. Es wird vielen das Wasser bis zum Halse stehen! Inflation und Energiekrise treffen uns diesmal direkt, den Mittelstand!“ Klintworth hat nicht nur Schreckgespenster im Petto, er ist sicher: „Wir schaffen das - Sie schaffen das. Gehen Sie einen Schritt nach dem anderen. Stapfen sie dabei in keine Fußstapfen hinein, denn der Weg, den wir alle bisher gegangen sind, wird so nicht mehr funktionieren. Es sind die kleinen Schritte - oder überhaupt Schritte, die den Unterschied machen und zu Innovationen führen – im Kleinen und im Großen.“ Innovationen seien für ihn nicht immer der große Rundumschlag, auch kleine Stellschrauben, können große Wirkungen haben. „Ich glaube Innovation ist, nicht stehen zu bleiben, Lösungen zu finden, etwas einfacher, bezahlbarer oder klimafreundlicher zu machen, einfach den Weg wie bisher, nicht weiterzugehen, nicht in seiner Bequemlichkeit hängen zu bleiben.“
Sie haben sich für den schönsten Beruf entschieden, den es überhaupt geben kann.
Auszubilden ist einer der zentralen Wertschöpfungselemente unserer Wirtschaft.
„Meine Ausbildung zum Tischler begann 1995 – drei Jahre später saß ich, so wie Sie heute, in der ersten Reihe bei meiner Freisprechung“, Genau deshalb weiß der heutige Landrat des Landkreises Stade genau, was die jungen Tischler:innen in den vergangenen drei Jahren leisten mussten und wie stolz sie darauf sein dürfen. Er gratulierte zu diesem Lebensereignis im Namen aller über 205.000 Einwohner seines Landkreises. „Es gibt kaum ein anderes Berufsbild mit so viel Kreativität, mit so vielen Möglichkeiten, mit so viel aktiver und eigener Gestaltungsfreiheit und eigenem einbringen, wie im Tischlerhandwerk“, plädiert Seefried und schiebt scherzend hinterher: „Das Einzige, was das noch toppen könnte, wäre vielleicht Landrat zu sein.“ Bis heute blickt der heutige Landrat mit stolz auf seinen eigenen Tischlerwerdegang zurück und tischlert mit viel Freude in der Werkstatt seines Ausbildungsbetriebes gelegentlich an eigenen Projekten.
Weiter appelliert Seefried an die Gesellschaft und auch an die Unternehmen der Region: „Wir sind so zwingend auf die Fachkräfte angewiesen. „Wir haben eine der lebenswertesten Regionen im Norden, und dazu gehören alle: Industrie, Handel, Landwirtschaft, Handwerk und viele mehr.“ Er dankt den Unternehmen für ihr Engagement, junge Menschen auszubilden, doch: „Auszubilden ist einer der zentralen Wertschöpfungselemente in unserer Wirtschaft. Lassen Sie sich bitte nicht unterkriegen und bilden Sie bitte weiter aus. Jeder neue Tischler:in, jeder neuer Handwerker:in zählt!“
Es bleiben zu viele auf der Strecke – Trendwende muss jetzt kommen.
Die Worte des Landrates nimmt Lehrlingswart Rudolf Mundt dankend auf, denn auch er appelliert an Betriebe der Region, weiter und mehr auszubilden: „Auch wenn es manchmal frustrierend ist, anstrengend und vor allem: teuer, bleibt am Ball, dann füllt sich das Fachkräfte-Karussell und wir profitieren direkt oder indirekt am Ende alle davon.“ Mundt hat dafür auch echte Zahlen mitgebracht. Gestartet seien 42 Azubis in das erste Ausbildungsjahr BFS, die Fachschule an der BBS Stade, beendet wurde das erste Jahr mit lediglich 36 Schüler:innen. „Jetzt kommt die Krux. Von den 36 potenziellen Tischlerazubis haben nur 23 einen Lehrvertrag erhalten – das ist einfach zu wenig!“ resümiert Mundt. Bis zum Ende des dritten Lehrjahres reduzierte sich die Zahl dann nochmals auf 17, wovon 15 die Prüfung bestanden. „Das heißt, es bleiben einfach zu viele auf der Strecke. Wir müssen uns klar machen, dass wir mit Blick auf diese Zahlen ein echtes Luxusproblem haben. Welches Handwerk kann von sich behaupten, es wären zu viele Azubis da!“ Und dennoch fehlen die Fachkräfte, die Gesell:innen in den Werkstätten – „ dabei haben wir es selber in der Hand. Würden wir von den 43 gestarteten mindesten 2/3 den Gesellenbrief übergeben können, stünden wir deutlich entspannter da“, prophezeit Mundt.
Kopf an Kopf-Rennen für die schönsten Berufe der Welt.
Ein weiterer Kandidat, für den wohl schönsten Beruf der Welt, schmeißt Ulrich Tietjen mit in den Ring und scherzt: „Also vor Landrat und Tischler ist der KFZ’ler mal mindestens genauso schön.“ Spaß beiseite: Einig sind sich alle Anwesenden und auch Ulrich Tietjen, dass Handwerk an sich: „Für uns alle den Sieg davon getragen hat und wir gemeinsam der schönsten Berufung der Welt nachgehen dürfen.“ Der Obermeister der KFZ’ler hätte sich das ein oder andere Möbelstück unter den Arm klemmen wollen, um es mit nach Hause zu nehmen. „Was hier in unseren Räumlichkeiten steht, zeigt, was Ihr könnt, was Ihr tagtäglich macht, das ist etwas ganz Besonders“, lobt er die Leistung der Absolvent:innen.
Die Veranstaltung
Neben der Freisprechungsfeier stehen die Stücke der Öffentlichkeit noch bis zum 16. September 2022 zur Verfügung. „Handwerk steckt in jedem von uns – egal ob KFZ, Metall oder Holz – wir freuen uns, ebenso ein Teil Ihrer Reise sein zu dürfen.“, so Obermeister der KFZ Innung und Geschäftsführer des Autohauses, Ulrich Tietjen. Das Handwerks-Trio an diesem Tag von Tischler und KFZ’ler macht Innungsfleischerin Maike Ossenbrügge komplett und liefert ein fulminantes Finger-Food Buffet vom Allerfeinsten. „Wir sind alle überglücklich, unseren jungen Gesell:innen wieder den Rahmen zu ermöglichen, den sie verdient haben“, freut sich Lehrlingswart Rudolf Mundt über die gelungene Veranstaltung, die musikalisch von Kordula Meier mit Piano Klängen begleitet wurde. Alle Innungsbesten und „Die Gute Form“ Plätze 1-3 erhielten Gutscheine als besondere Ehrung der guten Leistungen. Zudem werden die Besten auf dem nächsten Handwerksforum durch die Kreishandwerkerschaft Stade geehrt. Altgeselle und Prüfungsausschussmitglied Hauke Jarck (Tischlerei Manfred Hölting, Burweg) erhebt die Azubis in den Gesellenstand.
Schüler:innen und Lehrende jetzt per „DU“
Schülersprecher Lukas Wintzen bedankte sich in kurzen Worten bei den Prüfungsmitgliedern, Lehrern und der Innung für ihr Engagement und erinnerte nochmals an die tolle Zeit mit seinen Schülerkolleg:innen. Er wünsche sich, dass alle in Kontakt blieben und ihren Zielen folgen.
Sein Berufsschullehrer Martin Volkmann ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, ein paar Worte zu sagen. Er gratulierte den Absolvent:innen im Namen aller Lehrer:innen: „Ihr habt es geschafft, nach drei langen Jahren. Es ist eure Leistung, euer Durchhaltevermögen und auch dank Eurer Ausbilder:innen und – trotz widriger Umstände, dank Corona“, hätte es den Lehrern immer viel Spaß gemacht, resümiert Volkmann und bietet, so es die Tradition will, den ehemaligen Schülern das „DU“ an. „Ich bin jetzt Martin für euch.“
Die Jahrgangsbesten 2022
Die vier Jahrgangsbesten 2022. Alle vier haben mit einer praktischen und theoretischen Benotung von 2/2 und besser abgeschnitten. Jahrgangsbester Mathis Cohrs kann mit seiner Leistung am Leistungswettbewerb der Tischler auf Landesebene teilnehmen und sich dort sogar für den Bundeswettbewerb qualifizieren.
Im Porträt
3. Jahrgangsbester – Teamwork at it’s best
Lukas Wintzen, 22 Jahre alt, Buxtehude, gelernt bei der Tischlerei Ricardo Schmorl in Hollern-Twielenfleth.
Nach seinem Abitur und einem FSJ in der Lebenshilfe schwenkte Lukas ab ins Handwerk „Ich habe ein Praktikum im Nachbarort gemacht und fand es direkt richtig gut“. Er hat sich dann umgesehen und hatte bei der Betriebssuche eine Priorität: „Ich habe den Ausbildungsplatz nach der Belegschaft ausgesucht. Ich sollte unbedingt in einem richtig großartigen Team arbeiten.“ Kollegiales Miteinander hat Lukas bei der Tischlerei Schmorl finden können: „Ich bleibe jetzt erstmal in dem Betrieb und gehe dann eventuell nochmal studieren – Architektur steht dabei ganz oben auf meiner Liste.“
2. Jahrgangsbeste – Mit dem Bulli auf die Baustelle
Pauline Hagenah, 21 Jahre alt, Buxtehude.
Pauline’s Weg zur Tischlerin ging nicht geradeaus. Sie hat nach ihrem Abitur ein FSJ in der Denkmalpflege absolviert und ein Praktikum zur Restaurateurin. „Mir war wichtig in Lohn und Brot zu stehen, daher habe ich mich gegen das Studium entschieden und für eine Ausbildung.“, war einer ihrer Beweggründe, ins Handwerk zu starten. Sie könne aber auch sehr gut praktisch Lernen. „Jetzt steige ich in meinen ausgebauten Bulli und fahre zur Baustelle, um draußen zu arbeiten“, das klingt wie ein Traum, wird für Pauline aber Anfang September Realität, denn genau so hat sie sich ihren Alltag vom Beruf vorgestellt und erfüllt sich damit ihren Traum. „Ich möchte Tischlerin bleiben, aber jetzt erstmal alle anderen Gewerke ausprobieren.“
1. Jahrgangsbester – Vom Baumstamm zum Möbelstück
Mathis Cohrs, 22 Jahre alt, Buxtehude, Ausbildungsbetrieb L+K Harsefeld.
Hildesheim ruft – und zwar das Architekturstudium an der HAWK Hildesheim. „Den Platz habe ich schon, und jetzt geht es bald los“, freut sich Mathis auf seinen neuen Lebensabschnitt. Nach Praktikum und Auslandsjahr in Kanada (Rocky Mountains) startete er zielsicher ins Tischlerhandwerk. In seiner Ausbildung hat er sich am liebsten mit Vollholz umgeben und dann „Von Anfang an jeden Produktionsschritt begleitet - vom Baumstamm bis zum fertigen Möbelstück“, das Werk dann am Ende zu sehen, „am besten etwas Selbststehendes, das ist schon was Besonderes im Alltag.“ Mathis möbelt aber auch gerne Altes auf und lässt neues daraus entstehen. „Für mich war wichtig, ein Gesellenstück zu bauen, das so klein ist, dass es überall mit hinkommen kann – egal wohin mich mein Leben noch führt.“